Wie kleine leuchtende Sterne von einem fremden Planeten

Das Museum Rietberg zeigt mit «Für immer Jade – Chinesische Jademiniaturen aus vier Jahrtausenden» 130 Objekte aus dem faszinierenden Stein.

Schon nur das Betrachten dieser Objekte wirkt harmonisierend. Dass Jade in der chinesischen Kultur seit jeher auch als Heilstein galt, erstaunt daher nicht. Die Ausstellung «Für immer Jade» offenbart, dass man diesen Stein gar nicht auf sich tragen oder einnehmen muss, um seine heilende Wirkung zu spüren. Die aussergewöhnliche Inszenierung der Miniaturen aus der Sammlung Rietberg berührt Auge, Herz und Verstand. Man könnte stundenlang im abgedunkelten Raum verweilen und über die Schönheit und Vielfalt dieser Artefakte staunen. Wie kleine leuchtende Sterne von einem fremden Planeten schimmern einem die fein geformten Exponate entgegen. Allerlei Tiere, Pflanzen und Fabelwesen in den abenteuerlichsten Kombinationen fesseln durch die ihre Machart und Erscheinung.

Die Preziosen gelangten durch den Schweizer Mediziner Reinhard J.C. Hoeppli (1893 – 1973) ins Zürcher Museum. Dieser war ein eifriger Sammler solcher Jademiniaturen, die teilweise mehrere tausend Jahre alt sind. Wobei Jade streng genommen kein mineralogischer Begriff ist, das Wort leitet sich aus dem spanischen «piedra de ijadas» (Lendenstein) her. Auch in Mittelamerika galt Jade nämlich als Mittel gegen Nierenleiden. Doch in keiner anderen Kultur war (und ist) die symbolische Bedeutung und die Meisterschaft in der Bearbeitung von Jade so ausgeprägt wie in China. Wegen seiner besonderen Eigenschaften gilt der Stein dort unter anderem als Glücksbringer. Jade versinnbildlicht auch mehrere menschliche Tugenden und wurde den Toten schon in der Jungsteinzeit als Opfergabe ins Grab mitgegeben. Man glaubt bis heute an seine magische Wirkung.

Wie aus rohen Steinen derart komplexe Kunstwerke gefertigt werden, ist per se pure Magie. Denn durch seine besondere Struktur weist Jade eine grosse Härte und Zähigkeit auf. Der Stein kann nur durch Schleifen mit Quarzsand in Form gebracht werden. Früher geschah dies durch fussbetriebene Bohrvorrichtungen, wie alte Darstellungen zeigen. Nach tagelangem Polieren traten die unglaublichsten Farbnuancen zutage – von milchig weiss über rosa und grün bis fast zu schwarz. Die Kunst der Handwerker bestand darin, die Schönheit und Besonderheit des einzelnen Nephrits – so die wissenschaftliche Bezeichnung der in China verwendeten Jadeart – durch entsprechende Motive zu betonen und in Szene zu setzen. Durch die geschickte Positionierung und Beleuchtung der Objekte können nun auch Museumsbesucher*innen diese Kunstfertigkeit erkennen.

Als Augenöffner fungieren in der Ausstellung auch die Bilder von Felix Streuli. So entstand übrigens auch das Ausstellungsprojekt. Auf der Suche nach einem besonderen Sujet stiess der Fotograf im Schaudepot des Museums auf die Jadeobjekte und verliebte sich in sie. In den Nahaufnahmen des Lichtbildners taten sich neue Welten auf. Dieses Universum wird nun dank der Schau im Museum Rietberg einem grösseren Publikum zuteil. Wenn uns die gigantischen Augen einer Zikade anzuschauen scheinen, verschmelzen Mikrokosmos und Makrokosmos. Die Objekte lassen manchmal erstaunliche Analogien zutage treten: Die Adern eines Blattes sehen dann plötzlich wie ein menschliches Herz aus. Eine zusätzliche Bedeutungsebene bilden häufig auch die Gleichklänge der chinesischen Sprache oder bekannte Symbole.

Die grossformatigen Fotografien entlang der Wände schaffen Ruhe und Orientierung. Auch hinterleuchtet in den Schaukästen neben den ausgestellten Stücken entdeckt man in den Bildern immer wieder neue Details dieser Jadewunder. Zudem ermöglichen Spiegel ein Eintauchen in alle Dimensionen der Miniaturen. Auf diese Weise kann man sehen, dass die Objekte rundum bearbeitet wurden. Alles kann aber auch das geschulte Auge nicht erfassen, die Jadepreziosen bleiben trotz ihrer Zurschaustellung geheimnisvoll. Beim Verlassen des Raumes meint man jedenfalls das leise Lachen des Fabelwesens Qilin zu hören.

Von Susanna Koeberle am 22. September 2022 veröffentlicht.

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